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Flüssigkristalle – kaleidoskopische Forschungsobjekte

In der Schule werden uns drei verschiedene Zustände der Materie beigebracht: fest, flüssig und gasförmig. Flüssigkristalle liegen zwischen fest und flüssig. In der Natur findet man Flüssigkristalle in Pflanzen, Käferpanzern, DNA-Molekülen, menschlichen Knochen, Holzzellulose und sogar in Schneckenschleim. Sie sind auch ein wichtiger Bestandteil von LCD-Bildschirmen, Taschenrechnern, Digitaluhren, Armbanduhren und Mikrowellenherden. Die Erforschung von Flüssigkristallen geht über wissenschaftliche Bereiche wie Physik, Chemie, Biologie und Ingenieurwesen hinaus.

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Flüssigkristalle strahlen kein Licht direkt ab, können aber durch die Nutzung ihrer lichtmodulierenden Eigenschaften in Kombination mit Polarisatoren und einer Hintergrundbeleuchtung Bilder in Farbe oder Schwarzweiß erzeugen. Unten siehst du einige sehr farbenfrohe Beispiele von Flüssigkristallen, die in Luxemburg aufgenommen wurden:

Polarisationsmikroskopische Aufnahme von nematischen Flüssigkristalltröpfchen an der Grenzfläche einer wässrigen Tensidlösung. Die verschiedenen Farben entsprechen den unterschiedlichen Größen der Tröpfchen.

Flüssigkristalle vermischen sich nicht mit Wasser, genauso wenig wie sich Öl mit Wasser vermischt. Wenn wir ein Fläschchen schütteln, das mit einer kleinen Menge Flüssigkristall und Wasser gefüllt ist, bilden sich kleine Flüssigkristalltröpfchen, wie auf diesem faszinierenden Bild zu sehen ist.

Polarisationsmikroskopische Beobachtung typischer Defekte auf einer dünnen Schicht nematischer Flüssigkristalle an der Grenzfläche zum Wasser.

Flüssigkristallfilm unter dem Mikroskop. Die Linien in diesem Bild des Polarisationsmikroskops zeigen die Defekte in der Flüssigkristallschicht.

Wie funktionieren Flüssigkristalle in einem LCD-Bildschirm?

Flüssigkristalle sind sogenannte „anisotrope“ Flüssigkeiten, das heißt, sie reagieren leicht und stark auf äußere Einflüsse wie elektrische oder magnetische Felder oder sogar auf bestimmte Oberflächen. Dadurch können Wissenschaftler die flüssigkristalline Ordnung über makroskopische Entfernungen und sogar in jede beliebige Richtung ausdehnen. Da diese Struktur in einer flüssigen Phase auftritt, kann das ganze System durch einfaches Anlegen eines neuen äußeren Feldes neu geordnet werden, was zu einer Veränderung der physikalischen Eigenschaften führt.

Die Reaktion geschieht innerhalb von Millisekunden und ist zum Beispiel Teil dessen, was passiert, wenn du einen LCD-Bildschirm einschaltest: Eine kleine, angelegte Spannung ordnet den Flüssigkristall neu und verändert die optischen Eigenschaften eines Anzeigeelements – der Bildschirm ist an! Wenn das elektrische Feld entfernt wird, wird der Bildschirm wieder schwarz.

Welche Rolle spielen Flüssigkristalle in der Forschung?

„Flüssigkristalle bieten eine erstaunliche Spielwiese“, sagt Prof. Jan Lagerwall, der eine Forschungsgruppe an der Universität Luxemburg leitet, die mit Flüssigkristallen arbeitet: „Wir können sie jetzt in einer Vielzahl von Formen fixieren, wie z. B. kurze Fasern und leere oder gefüllte Kugeln, mit parallelen, geschichteten oder schraubenförmigen Anordnungen. Viele interessante Ergebnisse unserer Arbeit sind eher zufällig zustande gekommen. Einige zeigen großes Potenzial für nützliche Anwendungen, andere sind sehr viel grundlegenderer Natur. Das kann heute nutzlos erscheinen, aber wer weiß, wie es zukünftig aussehen könnte?“

Weil Flüssigkristalle in so viele verschiedene Strukturen und Längen verändert werden können, spielen sie eine immer größere Rolle bei Forschungsprojekten in der Nanotechnologie und Materialwissenschaft. Sie ermöglichen es Wissenschaftlern, 3D-nanostrukturierte Materialien zu synthetisieren und winzige Partikel wie Nanoröhren auszurichten.

Von abstimmbaren Lasern und Biosensoren bis hin zur Biotechnologie und medizinischen Behandlungen werden Flüssigkristalle zunehmend für bahnbrechende Fortschritte in der Wissenschaft eingesetzt. Werfen wir einen Blick auf die Forschungsbemühungen in Luxemburg, die durch die Finanzierung durch den FNR ermöglicht werden.


Mit Flüssigkristallen zu abstrichfreien Erregertests

Was wäre, wenn es einen kostengünstigen, einfachen Test gäbe, den wir zu Hause durchführen könnten, um Krankheitserreger der Atemwege zuverlässig nachzuweisen? Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Bereichen in Luxemburg arbeitet an einem bahnbrechenden Projekt, das die Leistungsfähigkeit der Flüssigkristall-Selbstorganisation erforscht, um genau das zu erreichen. Im Mittelpunkt des Ansatzes steht, die Technologie so kostengünstig wie möglich zu machen und die Anleitungen zum größtmöglichen Nutzen für die Gesellschaft weiterzugeben.

„Das Ziel ist es, Tests zu entwickeln, die so einfach sind, dass sie von den Patienten selbst zu Hause durchgeführt werden können, die aber zuverlässiger sind als die derzeitigen Antigen-Schnelltests und die ein messbares Ergebnis liefern können. Mit der Absicht, diese Tests schließlich jedem und überall zur Verfügung zu stellen, verfolgen wir einen Ansatz der ’sparsamen Technologie‘, bei dem wir den Bedarf an fortschrittlicher Technologie und teuren Materialien minimieren und uns verpflichten, die Forschungsergebnisse und die Technologie in einem ‚Open-Source‘-Format zu teilen, damit viele der Komponenten vor Ort hergestellt werden können“

erklärt der Physiker Jan Lagerwall.

Wie würden diese Tests aussehen und welche Rolle spielen Flüssigkristalle dabei?

Bei diesem Ansatz wird der Nasen-/Rachenabstrich durch eine einfache und viel weniger invasive Probenahme über eine Gesichtsmaske ersetzt, die wasserlösliche oder quellbare Filter aus Vliesfasern verwendet. Die Flüssigkristalle kommen in zwei wichtigen Bereichen ins Spiel:

Sie werden verwendet, um die Ergebnisse des Tests mit einem handelsüblichen Mobiltelefon und Zubehör, das nicht mehr als ein paar Euro kostet, anzuzeigen. Sie sind auch der Schlüssel für den Test selbst: Sie werden so eingesetzt, dass sich ihr optisches Erscheinungsbild verändert, wenn bakterielle Endotoxine nachgewiesen werden – eine völlig neue Art, Krankheitserreger zuverlässig nachzuweisen.

„Wir gehen davon aus, dass unser unkonventioneller Ansatz der Biosensorik einen enormen gesellschaftlichen Einfluss auf die Verbesserung der globalen Gesundheit haben wird, indem er kostengünstige Lösungen für die Gesundheitsvorsorge ermöglicht, die überall auf der Welt eingesetzt werden können, selbst in abgelegenen Gebieten ohne Elektrizität oder andere Arten von moderner Infrastruktur.“

Prof. Jan Lagerwall, Physiker an der Universität Luxemburg und Leiter der ESMP-Forschungsgruppe.

Das vom FNR finanzierte Projekt ist ein echtes luxemburgisches Projekt: Es bringt Physiker und Biochemiker der Universität Luxemburg sowie Experten für Nanomaterialien und Oberflächenfunktionalisierung des Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) zusammen.


Durch Flüssigkristalle verstehen wie mikroskopische Organismen unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden beeinflussen

„The Sun Spot“ by Anupam Sengupta, Victor Da Silva, Vamseekrishna Ulaganathan (University of Luxembourg)

Dieses Bild, das einer Sonneneruption ähnelt, zeigt die Struktur eines trocknenden Tröpfchens aus lyotropen Flüssigkristallen (LLCs). Sie entstehen durch das Auflösen von Molekülen, die sowohl einen „wasserliebenden“ als auch einen „wasserhassenden“ Teil haben, was dazu führt, dass sie unter bestimmten Bedingungen bestimmte Anhäufungen bilden. LLCs besitzen sowohl das Verhalten einer flüssigen als auch einer festen Phase.

Die unterschiedlichen Farben auf dem Bild zeigen, dass sich beim Trocknen des Tropfens selbstorganisierte Molekülorientierungen herausbilden. Das Team von Anupam Sengupta hat das Bild mit einem Mikroskop aufgenommen, das Licht polarisiert. Der Radius des trocknenden Tröpfchens beträgt ca. 250 µm – etwa die Länge einer Hausstaubmilbe.

Lyotrope Flüssigkristallphasen gehören zu den grundlegenden Phasen biologischer Flüssigkeiten und sind daher von großer Bedeutung für die Biomedizin, die Lebensmitteltechnologie und die Physik der lebenden Materie.

Die Physik der lebenden Materie ist der Schwerpunkt von FNR ATTRACT Fellow Prof. Dr. Anupam Sengupta an der Universität Luxemburg.

Mit einem fächerübergreifenden Ansatz untersucht Anupams Team biologische Prozesse und Systeme unter sich verändernden Umweltbedingungen, wobei der Schwerpunkt auf der Rolle von Geometrie, Ordnung und Topologie in lebender Materie liegt. Das Team will die Geheimnisse aufdecken, wie die kleinsten lebenden Organismen unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden lenken – die Betrachtung von Flüssigkristallen hilft den Wissenschaftlern dabei, die Welt um uns herum genauer unter die Lupe zu nehmen.

“Die Umstrukturierung mikrobieller Netzwerke aufgrund anthropogener Faktoren kann erhebliche Auswirkungen auf die globalen biogeochemischen Kreisläufe, die mit Pflanzen, Tieren und Menschen assoziierten Mikrobiome und letztlich auf das gesamte Ökosystem haben, das mehrere Skalen umfasst.”

„Wir haben begonnen, diese dynamischen Prozesse durch eine Kombination aus Experimenten und datenbasierter Modellierung systematisch zu verfolgen“, erklärt Prof. Dr. Anupam Sengupta..

Prof Dr Anupam Sengupta
„The bubbly oil“, Anupam Sengupta, Universität Luxembourg, ausgezeichnet bei der 2022 Ausgabe von der FNR Science Image Competition

Dieses eindrucksvolle Bild, das an ein lustiges Labyrinth erinnert, zeigt in Wirklichkeit chirale Strukturen, die von Flüssigkristallen gebildet werden. Die nebeneinander liegenden Blasen und Streifen haben sich gebildet, weil die Flüssigkristalle aufrecht gegen die begrenzende Oberfläche ausgerichtet sind. Die blauen „Schlieren“ sind im Durchschnitt ~5 µm groß – so groß wie ein rotes Blutkörperchen!

Mehr über die Forschung von Anupam Sengupta und seiner Gruppe an der Universität Luxemburg gibt es unten und auf fnr.lu


Bessere Sensoren dank Flüssigkristallen

Forscher/innen der ESMP-Gruppe der Universität Luxemburg haben einen Ansatz zur Verbesserung von Gassensoren entwickelt – sie könnten sogar tragbar werden! Sie können in Kleidung oder Möbeltextilien eingearbeitet werden und ihr Aussehen verändern, wenn sie einer bestimmten Verbindung in der Luft, z. B. einem Gas, ausgesetzt sind.

Da der Sensor nicht elektronisch ist und keine zusätzlichen Komponenten benötigt, ist er völlig autonom und braucht weder Batterien noch Strom oder eine Internetverbindung. Aufbauend auf den Ergebnissen mehrerer früherer Grundlagenforschungsprojekte erforscht die Gruppe nun im Rahmen einer Zusammenarbeit mit einer italienischen Biophysik-Forschungsgruppe das Anwendungspotenzial.

Flüssigkristalle vereinen großflächige strukturelle Anordnungen mit einem leicht fließenden flüssigen Zustand, wodurch sie so schön und bunt wie Pfauenfedern oder Schmetterlingsflügel erscheinen können. Wenn sie bestimmten Verbindungen ausgesetzt werden, können sie von blau zu rot oder von farblos zu bunt wechseln.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwarten außerdem, dass die Sensoren kostengünstig und umweltfreundlich hergestellt werden können.

Flüssigkristalle in Aktion

Entdecke unten eine Reihe von echten Fotos von Flüssigkristallen in Aktion und Beschreibungen was auf dem jeweiligen Bild passiert.

Kugelförmige Schalen aus Flüssigkristallen mit schraubenförmiger Anordnung funktionieren wie „selektive optische Echokammern“. Sie erzeugen spektakuläre Muster, die auf vielfältige Weise eingesetzt werden können, zum Beispiel bei der Fälschungssicherheit.

Scientific publication: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/adom.201700923
https://iopscience.iop.org/article/10.1088/2399-7532/ac0060

Eine dünne Textilfaser, die im Kern mit einem Flüssigkristall gefüllt ist. Sie ändert ihre optischen Eigenschaften, wenn sie einer flüchtigen organischen Verbindung (VOC) ausgesetzt wird, die mit den Molekülen des Flüssigkristalls interagiert. Hier stört die flüchtige organische Verbindung Toluol (ein häufig verwendetes Lösungsmittel) die Flüssigkristallordnung, wodurch sich die Farbe des Flüssigkristalls zunächst von grün zu rot ändert und schließlich ganz verschwindet.

Scientific publication: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666386421003830?via=ihub

Flüssigkristallschalen können fest werden, indem alle kleinen Moleküle, aus denen der Flüssigkristall besteht, in einem Prozess namens „Polymerisation“ miteinander verbunden werden. Dies führt zu einer leichten Schrumpfung der Schale und erhöht den Druck in der Flüssigkeit innerhalb der Schale, bis die Schale an ihrer dünnsten Stelle bricht. Dabei bleibt in jeder Schale ein Loch zurück, wie in dieser elektronenmikroskopischen Aufnahme zu sehen ist. Das Loch ist bei der Anwendung der Schalen sehr nützlich, denn es ermöglicht den Zugang zu ihren äußeren und inneren Oberflächen.

More information: https://www.advancedsciencenews.com/invisible-codes-help-robots-make-sense-of-their-environment/

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/adfm.202100399

Here liquid crystal shells are observed from the side, gravity making them thicker at the bottom and thinner at the top. This asymmetry translates into gradually varying optical behaviour from bottom to top, giving rise to the variation in colour seen when observing the shells in an optical microscope.

Scientific Publication :
https://www.mdpi.com/2073-4352/11/8/913

Dieses Bild zeigt einen Flüssigkristall-Phasenübergang von paralleler zu geschichteter Ordnung, der in einer Reihe dünner Schalen stattfindet. Da die Schalen in einem mikrofluidischen Pfad hergestellt werden, der hochgradig reproduzierbare Ergebnisse liefert, sind sie alle identisch im Durchmesser und in der Dicke, aber jede Schale zeigt dennoch einige einzigartige Eigenschaften, die auf thermische Fluktuationen der Flüssigkristallordnung zurückzuführen sind.

Once the phase transition started in the above picture is complete, a regular array of curved layers constitutes the steady state, giving rise to a beautiful flower petal-like texture in all the shells.